Reisebericht Nr. 89 – Gestern Pilgern, heute Wandern
Zwar hatten wir die Nacht im Casa Padaborn in Pamplona genossen, doch an Ausschlafen war nicht zu denken. Um 6 Uhr beschallten Doris und Ernst die Herbergszimmer mit Chormusik. Also aufgestanden, gefrühstückt und Rucksäcke gepackt. Wir waren mit die Letzten, die die Herberge verließen. Doch da die meisten (auch aus den anderen Herbergen) um diese Zeit aufbrachen, trafen wir schon zahlreiche Pilger auf den ersten Metern. So zum Beispiel Hannelore, die wir am ersten Tag kurz kennen gelernt hatten und nun nach drei Tagen wiedersahen. Ein kurzer Smalltalk und schon ging es weiter.
Ein schöner Weg führte aus der Stadt hinaus und es wurde immer grüner.
Schon bald sahen wir, wie sich eine Pilgerschlange durch die Landschaft zog.
Immer wieder wünschte man sich einen „Buen camino!“. Auf einmal winkte uns eine junge Pilgerin mit Sonnenbrille zu. Erst als sie diese absetzte erkannten wir Enni, die wir gestern in Pamplona kennen gelernt hatten.
So können die unterschiedlichen Wege einen wieder zusammen bringen.
Wir freuten uns sehr sie zu sehen und liefen von nun an mit ihr gemeinsam bis ans Ziel, Puente de la Reina.
Doch zunächst war noch der Anstieg zum Alto de Perdón zu bewältigen. Dabei ließen wir uns die Zeit für eine gemütliche Pause natürlich nicht nehmen.
Das Pilgerdenkmal (errichtet 1996), das sich auf der Passhöhe befindet, ist wohl einigen aus dem Film „Dein Weg“ bekannt.
Beeindruckender war jedoch der Ausblick bis zum Etappenziel. Leichter zu erkennen ist hier das Zwischenziel Obanos, vor den gezackten Bergen durch die Sonne erhellt.
Den zweiten Teil der Wanderung ließen wir entspannt angehen, indem wir nicht nur eine Kaffee-, sondern auch später eine Couscous-Pause an einem eigenwilligen Rastplatz machten.
Von da an wurden wir von einem nur allzu pilgerfreundlichen Spanier mit den besten Tipps betreut. Um das Tempo eines Wasserfalls beim Reden nicht zu verlieren, wiederholte er alles gleich dreimal.
Über eine Herberge machten wir uns keine Sorge, denn Johan und ich hatten beschlossen, durch unser Zelt den Schnarchern ein Schnippchen zu schlagen. Da die große Herberge mit Zeltplatz jedoch wie ein Windfänger oben auf einer Kuppe platziert war, zog ich mir neben zwei Hosen und zwei Paar Socken auch fünf Oberteile an. So ließ sich die kalte Nacht gut überstehen und wir konnten offensichtlich sogar am längsten von allen schlafen.
Da wir uns heute Zeit für einen gemütlichen Kaffee und ich für mein Tagebuch nehmen wollte, liefen wir erst um 10 Uhr los.
Das war der Trick! Wenn man mal einen nicht so überfüllten Jakobsweg laufen möchte, muss man anscheinend einfach erst so spät die Wanderschuhe schnüren. Zwar sahen wir einige Pilger, aber lang nicht so viele wie zuvor.
So verzichteten wir einerseits auf interessante Gespräche, konnten uns jedoch heute mal ganz auf den schönen Blumen gesäumten Weg und die Landschaft konzentrieren.
Dennoch mussten wir auf eine Pilgererfahrung nicht verzichten. Bei einer Picknickpause in Mañeru, schenkte uns ein Anwohner ein paar eingeschweißte Scheiben Schinken. Hm, warum sind wir nochmal Vegetarier? Wir verwarfen den sündigen Gedanken und freuten uns über die Nettigkeit des Dorfbewohners. Später würden wir zwei australische Mädels, die wir zufällig trafen, mit diesem Geschenk erfreuen.
Trotz des wolkigen Wetters genossen wir die letzten Kilometer durch Dörfer und Felder bis nach Estella.
Werden wir wohl morgen ein paar bekannte Gesichter wiedersehen? Heute hatten wir genug Zeit zu zweit darüber nachzudenken, was für uns den Unterschied zwischen Pilgern und Fernwandern ausmacht. Wir stellten fest, dass man zwar auch beim Wandern offene und nette Leute kennen lernt, mit denen wir auch jetzt noch gerne den Kontakt halten. Jedoch bemerkt man auf dem Jakobsweg, dass auch viele NICHT-wandererfahrene Pilger unterwegs sind, die aus den verschiedensten Gründen den weiten Weg auf sich genommen haben. So gewinnt das Pilgern eine eigene tiefere Grundlage, ganz egal ob es sich dabei inzwischen um eine Art Massenveranstaltung handelt oder nicht.
Ihr Lieben,
es macht Freude Euch sporadisch auf Eurem Weg zu verfolgen. Da bekomme ich auch gleich wieder Fernweh! Ganz liebe Grüße auch von Benny 🙂