Reisebericht Nr. 91 – Spontane Entscheidungen
Da wir eigentlich gestern schon ein Dorf weiter gelaufen sein wollten, hatten wir beschlossen heute eine 30km-Etappe bis Logroño einzulegen. Deshalb stellten wir den Wecker tatsächlich auf 6 Uhr und versuchten möglichst unseren irischen und amerikanischen Zimmernachbarn nicht zu stören.
Am Abend zuvor war uns nicht zu viel versprochen worden. Auf den Tischen stapelte sich das dunkle VOLLKORNBROT. Als uns dann noch Irmhild mit Käse und Tomate versorgte, war unser Frühstücksglück perfekt.
Herzlich verabschiedeten wir uns später von ihr, da sie sich wegen Knieproblemen nicht übernehmen und nur bis Viana laufen wollte.
Als wir gegen 7:30 Uhr aufbrachen, sahen wir nach zwei Tagen „einsamen“ Wanderns mal wieder die Pilgerschlange in der grünen Hügellandschaft. Wir fühlten uns ein bisschen wie Sira, der Pilgerhund. Wir nahmen Fährte auf und holten nach und nach die Pilger ein. Viele erkannten wir wieder, viele nicht.
An einer Weggabelung dachten wir, wir wären schlauer als der Wegweiser und wollten den Pfad abkürzen, indem wir statt abzubiegen geradeaus liefen. Wir winkten nur den hinter uns herrufenden Pilgern zu, mussten nach ein paar hundert Metern aber unseren Fehler eingestehen. Der Pfad führte uns nämlich im Umweg wieder auf den Pilgerweg zurück. Beim erneuten Überholen der zuvor gegrüßten Pilger, mussten wir ein paar hämische Blicke einstecken. Doch so ist es, wenn man mal was anderes versucht. Manchmal klappt’s und manchmal nicht.
Trotzdem ließen wir uns die Laune nicht verderben und genossen unsere Flitterwanderung.
Kurz vor dem Dorf Sansol lernten wir einen Italiener und einen Deutschen kennen, mit denen wir ins Gespräch kamen. So beschlossen wir, uns am nächsten kleinen Geschäft mit einem Kaffee zu ihnen zu gesellen.
Weil die Unterhaltung auf Englisch-Spanisch-Italienisch-Deutsch und mit Händen uns Füßen so lustig war, überlegten wir heute vielleicht doch nicht die ganze Strecke bis Logroño durchzulaufen. Aber wir ließen die Entscheidung offen, für das was noch kommen würde.
Bald verabschiedete sich der Italiener und Brandon, unser irischer Zimmernachbar, kam vorbei. Mit ihm bestritten wir die folgenden Kilometer und unterhielten uns sehr gut.
Er sprach sehr gut Deutsch und hatte schon in vielen Ländern gelebt. Nun wollte er nach dem Camino mit seiner Frau in die Selbstständigkeit starten. Wenn man sich gut unterhält fliegen die Kilometer nur so dahin. Bei einer kleinen Pause trennten sich unsere Wege und wir legten das letzte Stück bis zum Dorf Viana mit Birgit zurück, die wir gestern Abend schon bei einem Bier kennen gelernt hatten.
In Viana gingen wir gemeinsam einen Kaffee trinken und natürlich kam die schon frisch geduschte Irmhild vorbei. Zusammen führten wir ein sehr gutes und langes Gespräch, sodass sich nicht mehr die Frage stellte, ob wir noch weiterlaufen. Logroño kann bis morgen warten. Viana hat auch eine schöne Altstadt.
Mit Birgit checkten wir in der selben Herberge ein. Gleich treffen wir uns mit Irmhild zum Pilgermenu am Rathausplatz.
So muss es sein: Sonne, wandern, Gespräche, Pausen, kleines Pech, großes Glück… und die Freiheit der Entscheidung. Ich finde es so toll, dass ihr bisher allem die gute Seite abgewinnen könnt.
Wo bleiben denn die nervigen Pilger? Gab`s nichts Schlimmeres als Schnarchen oder hämische Blicke? Oder habt ihr kein Schid umhängen, auf dem steht: Erzähl mir ungefragt deine Probleme und erwarte selbstlose Hilfe!
Vielleicht haben die Promis in ihren Büchern mit ihren Spezis auch nur ein bisschen übertrieben.
Weiter guten Weg!
Also, heute finde ich, „so geht´s ja nicht! Wo bleibt denn die sog. Pilgerdisziplin??!
Und trockenes Vollkornbrot wäre doch auch mal was Asketisches, Minimalistisches, Nicht-Luxuriöses.
So langsam müsstet ihr euch mal auf das Leben-Danach einstellen, oder?
Es war einfach wunderbar.
Irmhild