Reisebericht Nr. 93 – Die Wende
Netterweise hatte uns der Herbergsbesitzer noch eine zweite Nacht bei ihm schlafen lassen. Das ist nicht selbstverständlich. Denn nach dem Prinzip des Pilgerns sollte man immer weiterziehen und darf dementsprechend nicht zwei Nächte in derselben Unterkunft verbringen. Zum Glück hatten wir einen nicht ganz so linientreuen Gastgeber. So hatten wir etwas mehr Zeit nochmal den schönen Stadtkern von Logroño zu besuchen.
Heute morgen brachte uns der Herbergsvater sogar zu einer guten Trampstelle Richtung Pamplona. Da wir mit unseren Freunden, Sebi & Erika, in der Nähe von Perpignan zum Windsurfen verabredet sind und in Frankreich gute Tramperfahrungen gemacht hatten, wollten wir zunächst nach Biarritz und dann durch das tramperfreundliche Land fahren.
Kurz nachdem wir in Logroño abgesetzt worden waren, hielt auch schon ein lustiger Lkw-Fahrer, der uns nach Pamplona brachte. Es war eigenartig an all den Orten vorbeizuFAHREN, durch die wir zuvor innerhalb mehrerer Tage geWANDERT waren. Manchmal erblickten wir von der Schnellstraße aus sogar ein paar Pilger, die in bunte Regencapes gehüllt waren.
In Pamplona wurden wir an einem Kreisverkehr abgesetzt. Dort begann unser bisher angenehmer Tramptag eine harte Wende zu nehmen. In Kälte und Regen brauchten wir für eine Fahrt, die normalerweise ca. 2 Stunden dauert, ungefähr 6 Stunden.
An einer Tankstelle bei Biarritz kam die Wende. Während ich auf Toilette war, beobachtete Johan ein Gelsenkirchener Auto, das rückwärts in einen anderen Wagen hineinfuhr. Er sprach so schnell wie möglich, den Besitzer dieses Wagens an, der zunächst vorgab nicht spanisch oder englisch zu verstehen. Doch dann verstand er doch, dass sein Auto angefahren wurde. Plötzlich konnte er fließend Englisch und Spanisch – wie Franzosen eben sind. Der Gelsenkirchner Fahrer schaute sich die Beule an, fuhr dann aber davon. Johan rannte hinter ihm her und stellte den Fahrerflüchtling mit den Worten: „Macht man das in Gelsenkirchen so, dass man nach einem Unfall einfach wegfährt?“ Eine kleine Diskussion folgte, in der Fußball keine Rolle spielte und der Fahrer gab zu, den Unfall verursacht zu haben. Die Formalitäten klärten beide Unfallbeteiligten dann mit der Gendarmerie, die zufällig gerade tanken wollte.
Von da an hatte der Tankwart, der alles beobachtet hatte, einen Narren an uns gefressen. Er lud uns auf einen Kaffee ein, schrieb uns ein Trampschild mit dem Wort ‚Toulouse‘ und fragte jeden Kunden, ob er in unsere gewünschte Richtung fuhr. Zum ersten Mal fühlten wir uns nicht unerwünscht und wie Bettler. So waren wir vor der Grenze oft angeschaut worden. Wir ernteten nur einen Todesblick von der Ehefrau des Unfallverursachers.
Der Fahrer des Unfallwagens wollte uns einen Gefallen tun und brachte uns entgegen seiner Pläne vorbei an Bayonne auf die richtige Autobahn zur nächsten Raststätte. Wir waren schon heilfroh und hatten die Hoffnung vielleicht doch noch nach Toulouse zu kommen. Und siehe da! Der zweite Fahrer, den wir fragten, willigte ein uns dorthin zu bringen. Als Johan die katalanische Flagge auf dem französischen Auto bemerkte und danach fragte, stellte sich heraus, dass Julien, Student in Bayonne, nach Perpignan fuhr. Wir konnten unser Glück kaum fassen!
So nahm der harte Tramptag doch ein gutes Ende. Auf der vierstündigen Fahrt bedankten wir uns mit einem Snack bei Mc Donalds, also bei Julien im Mc Donalds-Restaurant. 😉
Pff, Gelsenkirchen! Überrascht nicht 😉